Ja, ich weiß, woher ich stamme,
Ungesättigt gleich der Flamme
Glühe und verzehr’ ich mich.
Licht wird alles was ich fasse,
Kohle alles, was ich lasse,
Flamme bin ich sicherlich.
Friedrich Nietzsche
Was bedeutet „man selbst sein“? Wörtlich genommen ist diese Forderung inhaltsleer. Man kann überhaupt nicht nicht man selbst sein. Für jedes x gilt immer x=x. (Identitätsaxiom) Im übertragenen Sinne ist damit gemeint, dass man seine Vorlieben, Wünsche und Sehnsüchte weder vor sich selbst noch vor seinen Mitmenschen versteckt. Jedenfalls nicht übermäßig*. Dass man sein Verhalten mehr nach den eigenen Maßstäben als an der Erwünschtheit bei anderen ausrichtet. Dass man bereit ist, innere und äußere Widerstände zu überwinden, um seine Ziele zu erreichen. Der Fachbegriff für „man selbst sein“ ist Authentizität. Der Weg dorthin besteht aus Selbstfindung (erkennen, was man will) und Selbstverwirklichung (realisieren, was man will).
Der Ratschlag „Sei du selbst“ ist für sich genommen ziemlich unpräzise und lässt einen großen Interpretationsspielraum zu. Diesen Spielraum werde ich nutzen, um zu einer möglichst umfassenden Zustimmung mit diesem Ratschlag zu gelangen. Daraus folgt jedoch auch eine Warnung an dich: Du solltest dich nie zu dogmatisch auf das Sei-du-selbst-Mantra beziehen und im Zweifel lieber das tun, was funktioniert, als das, was vermeintlich authentischer ist. Einige der verbreitetsten Missverständnisse, die sich aus der Gummi-Regel „Sei einfach du selbst“ ergeben, werde ich hier besprechen:
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a) Wir sind von Natur aus „wir selbst“ und wer unauthentisch ist, hat sich aktiv verstellt.
b) Man selbst werden ist einfach.
Korrektiv: Werde, der du bist! (Pindar)
Die wenigsten ABs versuchen aktiv, sich zu verstellen, um eine Frau zu beeindrucken. Gefälschte Rolex, Urlaubserlebnisse aus Ländern, die man in Wirklichkeit nur aus dem Fernsehen kennt und erbärmliche Versuche, das Verhalten vermeintlich cooler Konkurrenten nachzuahmen sind typisch für Männer, die zwar durchwachsene Ergebnisse haben, aber immerhin Ergebnisse. Ein Zustand, von dem ABs nur träumen können.
Wenn ABs sich verstellen, dann passiert das in der Regel unbewusst und/oder in voller Überzeugung, gerade durch dieses Verhalten ganz sie selbst zu sein. Z.B. indem sie noch weniger unter Leute gehen in der Meinung, so ihr wahres Wesen auszuleben.
Und der Ratschlag „Sei du selbst!“ bestärkt sie nur in ihrem Tun und macht somit alles nur noch schlimmer. Übrigens sind die wenigsten Menschen authentisch, wenn sie einfach tun, wonach ihnen gerade ist, ohne sich große Gedanken zu machen. (In sofern ist das „einfach“ in dem Spruch besonders unangebracht.) Es bedarf enormer Anstrengungen, um zu werden, wer man ist. Und wem es gelingt, wirklich er selbst zu sein, der wird mit den hübschesten Frauen, unermesslichem Erfolg und ewigem Ruhm belohnt.
Warum aber ist das so? Warum sind die Menschen im ungecoachten Zustand nicht „sie selbst“? Warum ist es so verdammt hart, zu dem zu werden, was man eigentlich schon immer ist? Ich glaube nicht, dass die Menschen von Geburt an unauthentisch sind. Vielmehr meine ich, dass wir durch die vielen Verletzungen, die wir im Laufe des Lebens erfahren haben, gewisse Selbstschutzmechanismen aktivieren, die unser wahres Ich vor Angriffen verbergen.
In der Orthopädie gibt es den Begriff der Schonhaltung, der eine Fehlstellung des Körpers bezeichnet, die angenommen wird, wenn die normale, gesunde Haltung Schmerzen verursacht. Diese unnatürliche Körperhaltung kann zu weiteren Verspannungen, Schmerzen und damit zu noch mehr Schonung führen. Ein Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist („Dekonditionierungssyndrom“). Oft bleibt die Schonhaltung bestehen, selbst wenn die schmerzhafte Ursache dafür schon lange abgeklungen ist. Menschen, die Probleme mit dem „sie selbst sein“ haben, haben meist eine „psychische Schonhaltung“ angenommen. Wer jahrelang gemobbt wurde, bei wem jede Eigenschaft seiner Person dem Gespött der Gruppe ausgesetzt wurde, für den wird es irgendwann zur Überlebensstrategie, das eigene Ich zu verbergen, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. (Dieser Sachverhalt liefert übrigens eine Kausalität zur starken Korrelation zwischen AB-tum und Mobbing-Erfahrung.) Und genau wie man die physische Schonhaltung nicht heilen kann, in dem man dem Patienten sagt, „Lauf doch einfach normal!“, kann man die psychische Schonhaltung nicht durch ein „Sei einfach du selbst!“ kurieren. Dazu ist jahrelange Arbeit und ein graduelles Abgewöhnen der falschen Verhaltensmuster erforderlich. Ferner ist neben einem Abbau von „falschen“ Selbstschutzstrategien ein Aufbau von „richtigen“ Verteidigungstechniken erforderlich, wie es im Pick-up gelehrt wird. (Agree & Amplify, Cocky & Funny, Amused Mastery, …) Bildlich gesprochen geht es darum, die „Maske“ durch den „Schild“ zu ersetzen. Sich vor Angriffen nicht zu verstecken, sondern sie aktiv abzuwehren. Es bringt nämlich nichts, nur die Masken abzulegen und wie ein Opferlamm alles über sich ergehen zu lassen.
- Seelenstriptease ist verführerisch
Korrektiv: Zeig dich von deiner besten Seite
Viele ABs glauben, mit „Sei du selbst“ sei ein emotionales Auskotzen vor der potentiellen Partnerin gemeint. Sie stellen sich einer Frau z.B. so vor:
Ich arbeite im Niedriglohnsektor. Ich habe keine Freunde, deshalb verbringe ich viel Zeit vor dem Fernseher und dem PC. Ich bin seit zehn Jahren wegen meiner Depressionen in Therapie. Ich hatte noch nie eine Freundin und glaube auch nicht wirklich, dass ich je eine haben werde. Aber wie sagt man so schön: die Hoffnung stirbt zuletzt.
Diese brutalst-mögliche Ehrlichkeit ist nichts, was dich einer Frau näher bringt. Frauen wollen Spaß haben, eine beschwingte, fröhliche Zeit mit dir verbringen. Nicht beim Blick in deine seelischen Abründe erschaudern. „Du selbst sein“ heißt, zu deinen Leidenschaften zu stehen. Du sollst der Frau zeigen, wofür du brennst. Nicht worunter du leidest. Deine Probleme löst du bitte selbst. (Oder holst dir Unterstützung von jemandem, der nicht als Sexualpartner in Frage kommt.)
- Selbstfindung ist im Alleingang möglich**
Korrektiv: Feedback ist der Schlüssel zum Selbst
Früher dachte ich, man könne am besten zu sich selbst finden, wenn man sich von allen störenden Einflüssen von außen abschirmt und sich alleine ganz auf sich selbst besinnt. Das ist jedoch nicht der Fall. Solch ein Vorgehen führt oft zu ganz grotesken Ergebnissen und macht den Menschen zu einem seltsamen Kautz, mit dem keiner etwas zu tun haben möchte.
Du kannst nicht durch Introspektion im stillen Kämmerlein „du selbst“ werden. Das geht prinzipiell nur im Dialog mit möglichst vielen Menschen. Wie ein Rohdiamant, der erst durch das Schleifen zu einem funkelnden Brillanten wird, so kann auch das Selbst nur durch jahrzehntelange Reibung an anderen Menschen, die dich loben oder kritisieren, bewundern oder verspotten, zu einem wahren Selbst reifen.
Wir brauchen das Feedback von anderen, um Dinge zu sehen, die wir selbst nicht bemerkt haben. Das heißt natürlich nicht, dass wir nur noch tun, was andere von uns erwarten. Sondern dass wir Kritik ernst nehmen. Uns danach richten, wenn sie uns überzeugt hat. Und dagegenhalten, wenn nicht.
- Jedes Selbst ist gleich gut
Korrektiv: Schrei dein Ich in die Welt.
Tobias und Bastian sind ehemalige Schulfreunde, die sich bei einem Klassentreffen nach langer Zeit wiedersehen. Tobias erzählt:
Bis vor drei Jahren hatte ich einen langweiligen Büro-Job. Ich war sehr unzufrieden damit, habe gekündigt und bin Animateur auf Mallorca geworden. Ich bin ja so glücklich, dass ich diesen Schritt gewagt habe. Endlich kann ich tun, was mir wirklich Spaß macht. Und was das Beste ist: Es kommt bei den Mädels an. Jedes Wochenende hab ich eine andere Achtzehnjährige bei mir auf dem Zimmer. Wenn ich dir einen Rat geben kann, dann ist es: Sei du selbst! Scheiß auf alle Konventionen und mach, was du wirkich willst.
Nach 3 Jahren sehen sie sich wieder, und Bastian berichtet:
Ich habe deinen Rat zu Herzen genommen. Mit meinem Job in der IT bin ich sehr glücklich, den würde ich niemals aufgeben. Aber privat habe ich einiges geändert. Ich habe mein Fitnessstudio gekündigt und meinen Kumpels gesagt, dass ich nicht mehr mit ins Stadion gehe, weil Fußball mich eigentlich noch nie so richtig interessiert hat. Statt dessen habe ich eine Modellbahnanlage gebaut, an einer Open-Source-Software gearbeitet, Klingonisch gelernt und eine Geheimsprache entwickelt, die außer mir niemand versteht. Einerseits bin ich sehr glücklich, dass endlich meinen wahren Leidenschaften nachgehen kann. Andererseits macht mir die zunehmende Vereinsamung zu schaffen. Ich merke, dass ich immer weltfremder werde, und die wenigen Menschen, die ich noch treffe, mich auch dementsprechend behandeln. Das Thema Frauen sieht bei mir übrigens ganz schlecht aus.
Auch wenn die Gerechte-Welt-Gläubigen noch so vehement das Gegenteil behaupten – in der Realität sind nicht alle Menschen gleich attraktiv, weder vom Aussehen, noch vom Charakter her. Extrovertierte sind attraktiver als Introvertierte. Gesprächige sind attraktiver als Schweigsame. Teamplayer sind attraktiver als Einzelgänger. Vorlaute sind attraktiver als Schüchterne. Resiliente sind attraktiver als Verletzliche. Dominante sind attraktiver als Submissive. Männliche Männer sind attraktiver als unmännliche. Neurotypische Männer sind attraktiver als Autisten. Tänzer sind attraktiver als Briefmarkensammler. Fussballspieler sind attraktiver als Schachspieler. Wenn deine Persönlichkeit eher auf der unattraktiven Seite des Spektrums liegt, bringt es nichts, diese abstoßenden Merkmale weiter zu kultivieren und zu glauben, dadurch mehr „du selbst“ geworden zu sein. Dann musst du versuchen, die jeweils andere Seite in dir zu entdecken. Viel Neues ausprobieren. Dich möglichst oft konträr zu deiner Persönlichkeit bewegen, immer auf der Suche nach Verhaltensweisen, die sowohl Authentisch als auch Attraktiv wirken. Insbesondere die Merkmale
- Geselligkeit
- Dominanz
- Männlichkeit
solltest du in keinem Fall zugunsten einer vermeintlichen Authentizität schwächen. Denn keine Frau steht auf unmännliche, submissive Eigenbrötler – egal wie authentisch sie damit sein mögen.
Dem Leser, der durch derartige Ratschläge abgeschreckt wurde, sei erwähnt, dass rückblickend viele dies als den Weg zu ihrem wahren Selbst betrachten.
- Unser wahres Selbst liegt im Zentrum der Komfortzone.
Korrektiv: Sei die beste Version von dir
Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass unsere wahren Vorlieben die sind, die uns möglichst angenehm erscheinen. Tatsächlich sind es jedoch die, die gewisse Dissonanzen erzeugen. An denen wir uns reiben können. Unser wahres Selbst liegt nicht im Zentrum der Komfortzone, aber auch nicht an ihrem Gegenpol. Sondern vielmehr am äußersten Rand des Erträglichen. Und es ist unsere Aufgabe, dieses Komfortzonenrandgebiet immer wieder von Neuem zu erkunden und auszuloten und die Grenze des Erträglichen immer wieder neu auszuhandeln.
Wenn du z.B. morgens vom Wecker aus dem Schlaf gerissen wirst, mag es dir am angenehmsten erscheinen, einfach liegen zu bleiben, und im Laufe des Tages nichts anderes zu tun als dich von Fast Food zu ernähren und dich mit Unterhaltungselektronik zu beschäftigen. Jedenfalls nicht der gesellschaftlichen Konvention des „Arbeiten gehens“ zu folgen. Doch auch wenn du es in dem Moment nicht so siehst: Dieser Lebensstil ist nicht dein wahres Selbst. Es ist nichts, was dich langfristig glücklich macht.
Anderes Beispiel: Wenn du in einem seriösen Anzugträgerunternehmen arbeitest, kannst du auch nicht einfach mit Flip-Flops und Hawaii-Hemd zum Dienst erscheinen. (Auch wenn das viel mehr deinem wahren Charakter entspräche.) Damit zeigst du keinen Mut zur Authentizität, sondern lediglich Abwesenheit jeglicher Sozialkompetenz. Du solltest aber auch nicht 30 Jahre lang die gleiche, langweilige Hemd-Anzug-Krawatte-Kombination tragen. Damit würdest du gar nichts von deinem Selbst preisgeben, und es dir in deiner Komfortzone bequem machen. Statt dessen könntest du z.B. versuchen, mit auffälligen Manschettenknöpfen, einer schicken Weste oder extravaganten Schuhen Akzente zu setzen, ohne gleich den kompletten Rahmen zu sprengen. Wenn du dir dann noch einen Bart stehen lässt und eine Glatze rasierst, wirst du dich nicht mehr beschweren müssen, von Kolleginnen nicht beachtet zu werden. Auch mit diesen kleinen Dingen kannst du schnell an die Grenzen deiner Komfortzone kommen. Und genau das ist es, was dich authentisch und interessant wirken lässt.
- Authentizität ist immer attraktiv
Korrektiv: Es gibt nichts langweiligeres als dich selbst „im technischen Sinne“.
Wenn das wahr wäre, wären Schauspieler die unattraktivsten Menschen der Welt. Und der Kölner Karneval wäre einer der keuschesten Orte der Erde. Denn dort ist keiner er selbst: Der Bäcker hat sich als Metzger verkleidet, der Polizist gibt sich als Sträfling aus, etc. Tatsächlich sind jedoch gerade verkleidete Männer für Frauen besonders interessant. Ob beim Karneval, auf einer Motto-Party oder einfach so – wer sich auffällig kostümiert, steigert seine Erfolgschancen („peacocking“). Neben der textilen Verstellung gibt es ein ähnliches, aber noch wirksameres Verführungsinstrument: Die Verstellung mit Worten. Wenn du einer Frau ehrlich erzählst, was du beruflich wirklich machst, ist sie spätestens nach dem dritten Wort eingeschlafen. Wenn du dich hingegen als Prinz aus Zamunda ausgibst, wird sie an deinen Lippen kleben. Lodovico Satana ist ein Meister dieser Technik. Seine vielen Beispiele können dir eine Inspirationsquelle sein. (Lies als Einstieg z.B. mal den Atomwaffenkontrolleur.)
Die Trennlinie zwischen guter und schlechter Unauthentizität ist durch deine Intention gegeben. Wenn du dich mit dem Ziel verstellst, dass dir deine Rolle ernsthaft abgenommen wird, führt das ins definitive Aus, sobald der leiseste Verdacht auf Unaufrichtigkeit aufkommt. Wenn du dich hingegen verstellst, um zu unterhalten, um statt dröge Fakten auszutauschen eine anregende Konversation zu führen, dann katapultiert dich diese Unauthentizität in eine ganz andere Attraktivitätsliga. Ich kann dir nur raten: Verstell dich, so oft du kannst! Treib deinen Spaß mit ihr! Gib keine ehrlichen Antworten, wenn sie dich etwas fragt! (Es sei denn, es ist „Nein“.) Verabschiede dich von der männlichen Fakten-Realität und begib dich in die Phantasiewelt der Rollenspiele, der Uneindeutigkeiten, der fiktionalen Geschichten mit Spannungsbogen.
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„Sei du selbst“ heißt, es ist okay, die Fassung zu verlieren.
Korrektiv: Du bist nicht deine Angst, Wut, Scham, Verzweiflung oder Needyness.
Viele Authentizitäts-Gurus lehren, man solle seine Gefühle zeigen, egal wie es einem gerade geht. Als Kind und Jugendlicher habe ich das oft gemacht. Wenn ich von anderen gehänselt oder geschlagen wurde, habe ich oft angefangen, zu weinen. Das war nicht gut. Die Angreifer haben sich vielfach gerade dadurch ermutigt gefühlt, dann noch mal zuzuschlagen. In jedem Fall war es mit einem enormen Statusverlust verbunden. Das gleiche gilt beim Flirten: Wenn eine Frau dich shittestet, kannst du nicht einfach anfangen, zu heulen, oder dich in einem Tobsuchtsanfall über ihre Unverschämtheit aufregen. Sie macht diese Tests ja gerade um herauszufinden, ob du beim ersten Widerstand aus der Rolle fällst, oder ob du souverän bleibst und deinen „Frame“ behältst. Denn letztlich bist du nicht authentisch, wenn du als willenloses Opfer deiner Gefühlswallungen operierst. Du bist nicht du selbst, wenn du dich von deinen Gefühlen beherrschen lässt, sondern nur, wenn du deine Gefühle beherrschst.
Wer stets so ist, wie er eben ist, muss scheitern – denn er ist allzu authentisch.
Stefan Wachtel
Authentizität war ja Peer Steinbrücks zentrales Mantra im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013. Darunter verstand er unter anderem das schonungslose Zeigen von Emotionen. Alles was er gerade fühlte, musste ungefiltert raus. Ob Stinkefinger, Tränen, Beleidigungen anderer Staaten und deren Politiker – Steinbrück hat uns wirklich nichts erspart. Allein der Wähler hat es ihm nicht gedankt. Genau genommen waren es die Wählerinnen, die ihm seine Authentizität übel genommen haben. Und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ein etwas staatsmännischerer Umgang mit der eigenen Emotionalität sich bei den Mädels gar nicht so schlecht gemacht hätte. Etwas weniger Theatralik, dafür mehr Professionalität und echte Leidenschaft für die Sache sind es, womit man Frauenherzen gewinnt – egal ob auf dem Weg zum Kanzleramt oder zum ONS.
Eine Boulevardzeitung fragte: „Ist die Authentizität Steinbrücks Pfund?“ Falsch. Es war sein Sargnagel.
Stefan Wachtel
- Pick-up und „man selbst sein“ sind Gegensätze
Korrektiv: Pick-up weist dir den Weg zu deinem wahren Selbst.
Pick-up hilft dir die Ängste zu überwinden, die dich davon abhalten, der zu sein, der du wirklich bist. Es ist die Therapie für deine psychische Schonhaltung. Ein Alpha ist im Wesentlichen nichts anderes als ein authentischer Mann.
- „Sei du selbst“ ist inhaltsloses Gelaber aus der Esoterik-Ecke
Wenn du Leute fragst, was mit „man selbst sein“ eigentlich gemeint ist, kann es passieren, dass sie dich mit einem Schwall an Buzzword-Geblubber überschütten, ohne auch nur irgendwas zu erklären. So in etwa:
Das heißt, du sollst dein wahres Ich zeigen, einfach DU sein, authentisch, geradlinig, echt. Ein Mensch mit Ecken und Kanten. Dich nicht hinter einer Maske verstecken. Dich nicht verbiegen lassen. Keine Rolle spielen.
Wenn du nach so einem Vortrag noch verwirrter bist als zuvor, möchte ich dir sagen, dass Authentizität eigentlich etwas sehr konkretes ist, das man leicht in unmissverständliche Handlungsanweisungen übersetzen kann. Beispiel gefällig? Wenn du das nächste mal „Ist mir egal, was wir als nächstes machen. Ich richte mich da ganz nach dir.“ sagen willst, kannst du das durch ein „Ich würde jetzt total gerne in die Kneipe X gehen, die machen da so leckere Y!“ ersetzen. Und schon bist du ein ganzes Stück authentischer.
Bei aller Liebe zur Authentizität sollte man jedoch auch nicht vergessen, dass der Sei-du-selbst-Spruch ein beliebtes Mittel ist, um den Ratgebenden in die Position des allwissenden Beraters und den Ratsuchenden in die Position des Beratungsresistenten, der selbst schuld an seinem Schicksal ist, zu befördern. Den die behauptete Wirksamkeit ist kaum falsifizierbar. Wer jemandem rät, mehr Sport zu machen, auf Partys zu gehen oder Frauen anzusprechen, muss mit der Entgegnung rechnen, man befolge den Rat schon seit Jahren, jedoch ohne Erfolg. Wer zu mehr Authentizität rät, kann jede Entgegnung mit dem Argument, man sei eben nicht wirklich authentisch gewesen, abschmettern.
* Es gibt auch ein zu viel an Offenheit. Wer z.B. direkt nach dem Ansprechen seine bevorzugten Sexualpraktiken durchdekliniert, wirkt nicht authentisch, sondern creepy. Genauso ist es vollkommen akzeptabel, sich verschiedenen Personen (z.B. seinem Vorgesetzten und seiner Mutter) gegenüber unterschiedlich zu verhalten. Mann sollte sich nur nicht so sehr verstellen, dass es einem unangenehm wird, wenn z.B. bei einem Gespräch mit dem Chef unerwartet die Mutter hinzu stößt.
** Der Gedanke geht auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel zurück. Er schreib im Kapitel „Herrschaft und Knechtschaft“ seiner Phänomenologie des Geistes:
Das Selbstbewußtsein ist an und für sich, indem und dadurch daß es für ein Anderes an und für sich ist; d.h. es ist nur als ein Anerkanntes.
Etwas verständlicher formuliert es der Philosoph Georg W. Bertram:
Wir entwickeln unser Ich in Reaktion auf Erfahrungen, die wir machen, auch negative Erfahrungen. Wenn ich keine Reaktion von anderen habe, kann ich stehen, wofür auch immer ich will: Das Ich bleibt leer.
Siehe auch:
Coming Out als AB
Der Koitus-Euphemismus
Der Fels und die Brandung
Rezensionen: Der perfekte Eroberer, Models
Zitat von „Betruger“ aus „Gastbeitrag: Eine (bittere?) Wahrheit“:
-> „sei einfach [nur] Du selbst“ (sagen oft: vergebene Frauen, Ratgeber)
Bei so einer Aussage mischt sich bei einem MAB besondere Bitterkeit hinzu, denn man war sein bisheriges Leben immer man selbst. Wenn man also ‚einfach sich selbst‘ bleibt, dann führt das nach dem Erfahrungswert logischerweise zu absolut garnichts! Gemeint sein kann bei diesem ‚guten Rat‘ beispielsweise, dass man nicht ’needy‘ rüberkommt oder sich zwanghaft verstellt, so dass es ganz offensichtlich auffällt (z.B. die Körpersprache nicht zur verbalen Sprache passt). ABER: um als AB erfolgreicher zu werden wird man zumindest seine Verhaltensweisen und manche Einstellungen ändern MÜSSEN – das bedeutet bis zu einem gewissen Grad tatsächlich ‚verstellen‘ – bis das irgendwann in Fleisch und Blut übergeht.
Weblinks:
Sei Du selbst, Zu sich selber finden; wikiHow (de)
How to Be Yourself, How to Find Yourself; wikiHow (en)
Authentizität, Selbstfindung, Selbstverwirklichung; Wikipedia (de)
Authenticity, True self and false self, Persona, Self-knowledge, Self-actualization, Psychology of self; Wikipedia (en)
Authenticity, PUA lingo
What It Means to Just Be Yourself and 3 Ways to Do It, Tiny Buddha
10 Wege, wie Du wirklich Du selbst sein kannst (Du wirst Dich dafür lieben), myMONK
Wann bist Du die beste Version von Dir?, HappyIch
Authentisch sein – eine Anleitung, Stephan Wiessler
Authentizität oder wie du einfach du selbst sein kannst, MalMini
Authentizität – Ich bin ich. Und sonst gar nichts., Digital Media Women
5 Reasons ‘Just Be Yourself’ Is Terrible Dating Advice, The Huffington Post
First Dates: Just Be Yourself?, The Soulmates Blog
Sei nicht authentisch: Warum Sie besser nicht so sind wie Sie sind, Svenja Hofert HR- und Karriereblog
How exactly is „just be yourself“ supposed to be good dating advice?, Quora
Sei einfach du selbst, im gegenteil
Sei bitte nicht du selbst, NEON
Hört bitte auf, mir zu raten, ich soll „einfach ich selbst“ sein!, bento
Authentizität und Pickup: Sei das beste Selbst, das du sein kannst, Alles Evolution
Gastbeitrag: Die wichtigsten Eigenschaften beim Verführen von Frauen sind Authentizität und männliche Polarität, Alles Evolution
„Sei einfach du selbst“ der unbrauchbarste Tipp für einen Einsteiger!, Pick Up Tipps
Sei Du Selbst ! -> was versteht IHR darunter ? (UMFRAGE), AB-Treff
Sei, wie Du bist und Du wirst ehrlich sein und…, AB-Treff
„Sei du selbst“? Totalveränderung? Beides?! Was ist dann noch „du selbst“?, AB-Treff
What normies says vs what they mean, FA Reddit
„Just be yourself“, FA Reddit
Just be yourself, FA Reddit
Videos:
Die größte Selbstverarschung: Sei einfach du selbst!, DonJon
Why You Shouldn’t „Be Yourself“, Todd Valentine
The art of being yourself | Caroline McHugh | TEDxMiltonKeynesWomen
The Power of Authenticity: Mike Robbins at TEDxGreenbrookSchool
authenticity | joe gerstandt
Will Smith on Being Your Authentic Self
The Search for Authenticity – The Agenda with Steve Paikin
Get Into The Ultimate State: The State of Authenticity – John Keegan
Der Mythos Authentizität – Rainer Niermeyer
Sei einfach du selbst… toller Ratschlag. ABER WIE??, Leonard Baumgardt
Musik:
Frank Sinatra – My Way
Gloria Gaynor – I am What I am
Die Ärzte – Lied vom Scheitern
Dream Theater – As I Am
Lady Gaga – Born This Way
Supertramp – The Logical Song