Passungs- und Marktwertparadigma

Um zu begründen, warum wer mit wem eine Partnerschaft eingeht, gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Erklärungsmuster:

Passungsparadigma
Puzzle

Nach dem Passungsparadigma suchen sich die Menschen einen Partner, der nach gewissen Kriterien genau zu ihnen „passt“. So wie ein Schlüssel ins Schloss oder der sprichwörtliche Topf zum Deckel. Dieses „Passen“ ist vollkommen homogen über die Menschheit verteilt. Niemand passt zu mehr oder weniger potentiellen Partnern als der Durchschnitt. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, und dabei gibt es keine statistischen Häufungen. „Passen“ kann man nicht erlernen. Der Falsche kann nichts richtig und der Richtige nichts falsch machen. In der Extremform dieser Lehre gibt es für jeden Menschen exakt ein passendes Gegenstück und alle anderen sind komplett ungeeignet. (Dieses Extrem ist in den USA besonders verbreitet. Der eine passende Partner wird als „the one“ bezeichnet. Von PUAs wird dieses Denken als „One-itis“ benannt und abgelehnt.)

Wer das Passungsparadigma vertritt, wird bei der Partnersuche als hauptsächliche Strategie das Kennenlernen möglichst vieler potentieller Partner anwenden. Denn je mehr Partner man kennenlernt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Richtige dabei ist. (sog. „numbers game“) Ferner wird er möglichst schnell herausfinden wollen, ob jemand zu ihm passt, um nicht wertvolle Zeit mit einem unpassenden Menschen zu verschwenden. Klassische Online-Partnerbörsen sind typische Vertreter des Passungsparadigmas. Sie tun (per se) nichts zur Attraktivitätssteigerung ihrer Nutzer, sondern konzentrieren sich ganz auf das Ermöglichen von möglichst vielen Kontakten und unterstützen das Herausfiltern unpassender Partner mit einem (dubiosen) Matching-Algorithmus.

Marktwertparadigma
Podium

Nach dem Marktwertparadigma sind die Vorlieben für bestimmte Partnereigenschaften nicht gleichverteilt. D.h., es gibt Menschen, die in Paarungsangelegenheiten sehr stark nachgefragt werden und andere, die bei der Partnerwahl sehr lange nach einem passenden Gegenstück suchen müssen oder gar in Liebesdingen komplett außen vor bleiben. Ersteren wird ein hoher, letzteren wird ein niedriger Marktwert zugeschrieben. In der Extremform dieser Lehre gibt es so etwas wie individuelle Partnervorlieben überhaupt nicht. Alle Menschen wollen exakt das Gleiche und unterscheiden sich nur darin, wie erfolgreich sie dabei sind, das zu erlangen. Es gibt demnach auch keine zwei Menschen, die sich wechselseitig nicht wollen. Denn bei gleichem Marktwert würden beide wollen, und bei ungleichem Marktwert würde der minderwertige den höherwertigen Partner besonders intensiv begehren.

Wer das Marktwertparadigma vertritt, wird bei der Partnersuche vor allem darauf setzen, an sich selbst zu arbeiten um den eigenen Marktwert zu erhöhen. Wenn die eigene Attraktivität ein ausreichendes Niveau erreicht hat, wird sich auch ein Partner des selben Attraktivitätsniveaus einfinden. Typische Vertreter dieser Lehre sind die Red-Pill-Anhänger (und in etwas weniger radikaler Form die PUAs*). Die Dating-App Tinder berechnet Partnervorschläge nicht nach Kompatibilität, sondern nach Attraktivität – dem sogenannten Elo-Score – und vertritt damit ebenfalls das Marktwertparadigma.

Welche Seite hat recht?

Um eine valide Entscheidung zu treffen, wird man das Konzept des Marktwerts operationalisieren müssen und dieses dann empirisch auf seine Vorhersagekraft hin überprüfen müssen. (Dazu mehr in einem zukünftigen Beitrag.)

Wissenschaftliche Belege für beide Seiten wurden bereits im Post Assortative Paarung vorgestellt. Es genügt also, wenn ich die Aussagen anhand von Alltagsbeispielen plausibilisiere.

Ein radikales Passungsparadigma kann nicht stimmen, denn z.B. sind übergewichtige Frauen und schüchterne Männer zweifellos unterdurchschnittlich attraktiv. Aber auch ein radikales Marktwertparadigma kann nicht zutreffen, denn wie man leicht durch eine kleine Umfrage im Bekanntenkreis feststellt, gibt es durchaus interindividuelle Unterschiede bei der Attraktivitäts-Bewertung von Frauen. „Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall.“, wie der Volksmund sagt.

Die Wahrheit muss also irgendwo in der Mitte liegen. Mathematisch kann man dieses „in der Mitte“ mit einem Ungleichheitsmaß, z.B. dem Gini-Koeffizienten beschreiben. Genau genommen benötigt man zwei Koeffizienten:

  1. Der „Attraktivitäts-Ungleichheits-Koeffizient“ (kurz AUK) beschreibt, wie ungleich die Attraktivität (im Sinne eines Durchschnitts aller Bewertungen) über die Menschheit verteilt ist. Ein AUK von 0 liegt vor, wenn fast alle Menschen grotten-hässlich sind und nur eine(r) mit makelloser Schönheit gesegnet wurde. Ein AUK von 1 liegt vor, wenn im Mittel alle Menschen gleich attraktiv sind, und individuelle Präferenzen keine statistischen Häufungspunkte besitzen.
  2. Der „Bewertungs-Ungleichheits-Koeffizient“ (kurz BUK) gibt an, wie sehr sich die Attraktivitäts-Bewertungen für eine konkrete Person im Mittel unterscheiden. Ein BUK von 0 liegt vor, wenn es für jeden Menschen genau einen passenden Partner gibt, der ihm dann maximal attraktiv erscheint und alle anderen für ihn komplett unattraktiv sind. Ein BUK von 1 liegt vor, wenn alle Menschen sich in ihrer Attraktivitäts-Bewertung komplett einig sind. Wenn es keinen einzigen Menschen gibt, der über eine „8“ sagt, ‚für mich ist das nur eine „7.9“‚.

Das Passungsparadigma gilt demnach, wenn AUK≈0 und BUK≈1. Das Marktwertparadigma gilt, wenn AUK≫0 und BUK≪1.**

Jetzt wäre es natürlich äußerst wünschenswert, wenn es eine wissenschaftliche Studie gäbe, die auf Grundlage einer umfangreichen Datenerhebung die beiden Koeffizienten berechnet. Ich habe da leider nichts dahingehendes gefunden.
Mein einziges Fundstück ist ein anonymer Blogpost. Demnach liegt der AUK (von Männern(?)), operationalisiert über Tinder-Likes, bei 0.58.*** Damit sind die Attraktivitätsunterschiede bei Männern größer als die Einkommensunterschiede in 95% aller Staaten. Was deutlich für das Marktwertparadigma spricht.

Subjektives Empfinden
Vielleicht mag jetzt jemand einwenden, dass er niemals eine Frau nur deshalb begehrt hat, weil sie mit ihm die selbe Attraktivitätsklasse teilt und dass so etwas Erbärmliches kein erstrebenswertes Ziel sei. Dem möchte ich entgegnen, dass es mir hier nicht um den subjektiven Eindruck des Begehrenden, sondern um den wissenschaftlichen Blick von außen auf den Sachverhalt geht. Die subjektiven Empfindungen würde ich in folgende zwei Klassen des Begehrens einteilen:

  • „sie ist die heißeste Frau der Welt, und ich will sie unbedingt haben, weil sie so heiß ist“
  • „wir sind wie für einander gemacht, zwischen uns gibt es eine tiefe Seelenverwandschaft“

Der erste Fall klingt eher nach Marktwertparadigma, der zweite eher nach Passungsparadigma. Und über die objektive Realität sagen beide nichts aus.

Nützlichkeit der beiden Paradigmen
Häufig hört man das Argument, es sei abträglich für den Partnererfolg, an das Marktwertparadigma zu glauben. Ich halte nichts davon, sein Weltbild nach Nützlichkeitserwägungen zu formen. Ich kann z.B. auch dem Gedanken, es sei nützlich, an Gott zu glauben, nicht viel abgewinnen. Man kann doch die Realität nicht verleugnen, nur weil man sich einen Vorteil davon verspricht. Ich verstehe schon rein praktisch nicht, wie das funktionieren soll.

Die meisten Nützlichkeits-Argumente gegen das Marktwertparadigma laufen in etwa so: Es zerstört dein Selbstbewusstsein, weil du dann siehst, dass andere attraktiver sind als du, und es macht needy, weil du dann merkst, dass du nur Frauen bis zu einer gewissen Attraktivitätsgrenze haben kannst. Dem möchte ich entgegen halten, dass das Passungsparadigma zur Untätigkeit verleitet, was in vielen Fällen noch schädlicher ist. Das typische AB-Argument dazu läuft in etwa so:

Zum Glück gibt es nicht nur eine Sorte von Frau. Ich warte einfach auf eine, die auf verschrobene Einzelgänger ohne Eier in der Hose steht. Das ist viel besser, als zu versuchen, jemand zu sein, der ich nicht bin.

Meiner Meinung nach bringt es auf Dauer nichts, die Realität zu verleugnen. Nicht fürs Selbstbewusstsein, nicht für den Frauenerfolg, nicht für sonst irgendwas. Man sollte vielmehr lernen, die Realität, so wie sie nun mal ist, zu akzeptieren – ohne jedoch dabei in resignative Untätigkeit zu verfallen. Sondern vielmehr eine Jetzt-erst-recht-Einstellung entwickeln, eine Strategie erarbeiten, sich bewusst machen, dass es andere mit viel größeren Defiziten schon geschafft haben und dass ein geringer Partnermarktwert noch lange keinen geringen Wert als Mensch bedeutet.

* PUAs vertreten z.B. häufig die Meinung, dass die oft zu beobachtenden Paarungen zwischen LSE-Frauen und Beta-Männern auf dem Passungsparadima beruhen:

mehrvomleben: Beta-Männer ziehen LSE-Frauen an, Alpha-Männer ziehen HSE-Frauen an. [Link]

TheLemonSong: Warum sind es also immer wieder die LSE HD Frauen, die mich so faszinieren?
Aldous: Weil LSE LSE anzieht. [Link]

Wenn du […] in einer Beziehung mit einem problematischen Typus lebst, beginnt die Arbeit nicht bei deiner Partnerin, sondern bei dir selbst. Denn LSE zieht LSE an, und aller Wahrscheinlichkeit nach hast du deshalb selbst ein Problem! Viele LSE-Frauen […] meiden Alphas in erotischen Belangen.

[LdS, S.98]

Genauso gibt es aber auch Interpretationen des Phänomens im Rahmen des Marktwertparadigmas:

Bedenke immer, dass nur LD-Frauen Manipulationen auf extreme Weise und über einen langen Zeitraum hinweg betreiben. Psychisch gesunde Frauen werden dich nach gelungener Betaisierung einfach aufs Abstellgleis schieben und sich nach einem besseren Mann umsehen.

[LdS, S. 183]

** Die Zeichen ≫ und ≪ sind hier als signifikant größer bzw. kleiner zu lesen. Z.B. hätte man bei einem AUK=0.3 und BUK=0.7 bereits ein gutes Argument für das Marktwertparadigma.
*** Die 80/20-Regel ist gleichbedeutend mit einem Gini-Koeffizienten von 0.6. Somit haben wir hier einen empirischen Nachweis dieser Regel.


Weblinks:
Wie funktioniert „Anziehung“?, AB-Treff